Von Statistiken und anderen Märchen

Politisches

Wenn man den Kopf in der Sauna hat und die Füße im Kühlschrank, sprechen Statistiker von einer angenehmen mittleren Temperatur.

Franz-Josef Strauß

Alles wird gut. Zu diesem Schluss könnte man kommen, wenn man den Darlegungen von Knut Abramowski, Präsident des Polizeipräsidiums Neubrandenburg, bei der Informationsveranstaltung zur „Sicherheitslage auf der Insel Usedom“ am vergangenen Montag folgte. Das glaubten auch alle Teilnehmer der Veranstaltung am Ende der Präsentation, es gab nicht eine kritische Nachfrage zur Sicherheit auf unserer Insel. Ich bezweifle allerdings, dass sich im Vorfeld jemand ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt hat.

Spannend bei solchen Vorträgen sind ja immer die Dinge, die nicht oder nicht vollständig erwähnt werden.

Häufigkeitszahl

Eine Rolle hat zum Beispiel die sogenannte Häufigkeitszahl gespielt. Die Häufigkeitszahl ist die Zahl der bekannt gewordenen Fälle insgesamt oder innerhalb einzelner Deliktsarten, bezogen auf 100.000 Einwohner.

Präsentiert wurde die Häufigkeitszahl unseres Bundeslandes 2010 für alle Delikte, nämlich 7.842 und die für die Insel Usedom, 7.834. Die Botschaft ist klar, die Lage auf Usedom ist geringfügig besser als in Mecklenburg-Vorpommern, alles nicht so schlimm.

Wenn man sich die Polizeiliche Kriminalstatistik 2010 (PKS) für Bund und Land aber genauer ansieht, kommt man zu einem ganz anderen Ergebnis.

M-V 7.842
Usedom 7.834
Bund 7.253
OVP mit Usedom 6.598
OVP ohne Usedom 5.592
M-V nur Landkreise 6.645

Um es anders auszudrücken: Die Häufigkeitszahl auf Usedom liegt 40 % über der des restlichen Landkreises und 17,89 % über dem Durchschnitt der anderen 11 Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern.

Straftatenaufkommen

Die nächste „Auslassung“ von Knut Abramowski: „ 2006 hat es auf der Insel Usedom noch insgesamt 2.977 Straftaten gegeben, im letzten Jahr waren es fast 15 Prozent weniger“.

Straftatenaufkommen auf Usedom

2006 2.977
2007 2.788
2008 3.132
2009 3.447
2010 2.355

Auch hier nur die halben Fakten. Tatsächlich sind es gegenüber 2006 15 % weniger, aber nur weil es 2010 einen unerklärlichen Rückgang um 31,68 % gab, nachdem zuvor die Anzahl der Straftaten nach dem Wegfall der Grenzkontrollen Ende 2007 nur eine Richtung kannte, nämlich die nach oben.

Dazu ein Auszug aus den Vorbemerkungen zur PKS:

„Bei der PKS handelt es sich um eine Ausgangsstatistik, bei der die Straftaten erst nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen, vor Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft, erfasst werden.“

Da wäre es doch einmal sehr interessant zu wissen, wie sich denn die Zahl der noch nicht an die Staatsanwaltschaft abgegebenen Verfahren am Jahresende 2009 und 2010 verändert haben.

Und noch ein Auszug aus den Vorbemerkungen der PKS:

„Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang die Interpretation von PKS-Zahlen zu Kontrolldelikten. Das sind solche Straftaten, die normalerweise nicht vom Bürger angezeigt, sondern nur durch das Tätigwerden der Polizei bekannt werden (z.B. Rauschgiftkriminalität). Bei diesen Delikten spiegeln die PKS-Zahlen kaum die Kriminalitätsentwicklung sondern vielmehr den Verfolgungsdruck der Polizei wider.“

Vielleicht waren es auch einfach nur die schneereichen Monate im vergangenen Jahr, die die Mobilität der Kriminellen eingeschränkt hat.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, sprich die Veränderungen bei den einzelnen Delikten zu prüfen, müsste man die komplette PKS nur auf Usedom bezogen haben. Die steht mir aber leider nicht zur Verfügung.

Diebstahlsdelikte

Sehr aufschlussreich ist die PKS auch in Sachen Diebstähle, die 37,9 % der gesamten Straftaten im Land ausmachen. Die Fallzahl ist im Bereich der Polizeidirektion (PD) Anklam (Ostvorpommern, Uecker-Randow und Hansestadt Greifswald) im letzten Jahr von 7.703 auf 8.009 um 4 % angestiegen, während landesweit die Diebstähle von 54.445 auf 49.116 (-9,8 %) zurückgegangen sind.

Die PD Anklam hat landesweit die höchste Häufigkeitszahl bei Diebstählen, 3.433 (Vorjahr 3.275) und ist die einzige PD, in der die Häufigkeitszahl im vergangenen Jahr angestiegen ist. Die Landkreise Ostvorpommern mit 2.877 und Uecker-Randow mit 2.878 haben die höchste Häufigkeitszahl aller 12 Landkreise, nur Güstrow kam im letzten Jahr in die Nähe dieser Zahlen. Die Hansestadt Greifswald hat mit weitem Abstand die Spitzenposition mit 5.261 bei den kreisfreien Städten und war die einzige, bei der die Zahlen angestiegen sind.

Es gibt bei den beiden Landkreisen auch eine Korrelation bei der Täterschaft. Es sind die beiden einzigen im Land, bei denen die ermittelten nichtdeutschen Tatverdächtigen im zweistelligen Bereich liegen, Ostvorpommern mit 10,2 % (Vorjahr 10,4 %), Uecker-Randow mit 20,6 % (Vorjahr 17,6 %). Das bezieht sich wohlgemerkt nur auf die ermittelten Tatverdächtigen.

Zurück zur Informationsveranstaltung und nach Usedom

Von Januar bis März 2011 wurden für die Insel Usedom insgesamt 661 Anzeigen aufgenommen. Im gleichen Zeitraum 2010 waren es demgegenüber 554. Daraus ergibt sich ein Plus von 19,3 %. Die Zahl der Wohnungseinbrüche betrug im ersten Quartal 2011 auf der Insel 29, gegenüber 66 im gesamten Vorjahr, im April sind noch einmal 12 dazugekommen, so dass nach vier Monaten bereits knapp 2/3 der Zahlen aus 2010 erreicht waren. Dazu kamen im ersten Quartal noch weitere 71 Anzeigen wegen Einbruchsdiebstählen und reichlich Straftaten rund um das Auto, von den Buntmetalldiebstählen gar nicht zu sprechen. Leider gab es auf der Veranstaltung keinen Vergleich zu den Vorjahren was den Verlauf nach Monaten angeht. Er muss auf jeden Fall alarmierend sein, denn ich kann mich nicht erinnern, wann es zum letzten Mal auf Usedom eine derartige Polizeipräsenz gegeben hat. Man hat den Eindruck, so ziemlich alles, was andernorts irgendwie entbehrlich war, Mann, Hund, sogar Motorräder ist nach Usedom geschickt worden.

Kurzfristig wird das erst einmal den gewünschten Erfolg zeigen, einer Abschreckung der Täter. Aber auf Dauer wird die Polizei diese Präsenz und den damit einhergehenden Abschreckungseffekt nicht aufrecht erhalten können und dann tritt wieder der Alltag ein und der ist düster, wie man am Beispiel des Polizeireviers Heringsdorf leicht erkennen kann.

Polizeirevier Heringsdorf

Das Polizeirevier ist zuständig bis zur Ortsgrenze von Zinnowitz im Westen und bis zur Stadt Usedom im Süden. Dafür stehen 32 Planstellen zur Verfügung mit denen ein 24-Stunden-Betrieb an 365 Tagen im Jahr abzusichern ist.

Einfaches Rechenexempel:

365 Tage x 24 Stunden = 8.760 Stunden
32 Beamte x 40 Stunden Wochenarbeitszeit x 52 Wochen = 66.560 Stunden
32 Beamte x 24 Tage Urlaub x 8 Stunden = 6.144 Stunden
66.560 Stunden – 6.144 Stunden : 8.760 Stunden = 6,9 Beamte/Stunde

Das heisst, es sind gerade einmal 7 Beamte pro Schicht da und das im Idealfall. Da sind noch keine Zeiten für Krankheit, Aus- und Weiterbildung, Castor-Transporte und ähnliches berücksichtigt. Von diesen 7 Beamten machen mindestens 3 Innendienst und dann reicht es gerade noch für zwei Streifenwagen in diesem großen Gebiet.

Tatsächlich sind aber Stand Montag nur 26 Planstellen besetzt, so dass die gleiche Rechnung nur noch 5,6 Beamte pro Schicht, das heisst eine Fahrzeugbesatzung, ergibt. Damit will man Verfolgungsdruck erzeugen? Kriminalität bekämpfen? Das reicht nicht einmal, um den Papierkrieg bei den aktuellen Fallzahlen zu bewältigen.

Bei uns wurde am 4. Mai tagsüber eingebrochen. Als ich den Einbruch beim Polizeirevier meldete, gab es folgende Auskunft: „Es kann länger dauern, bis die Beamten kommen, Herr Merkle. Ich habe nur ein Fahrzeug im Einsatz und das ist unterwegs zu einem schweren Verkehrsunfall.“

Wachsendes Dunkelfeld

Bei vielen von einer Straftat Betroffenen führt diese geringe Polizeipräsenz zu einem sehr problematischen Nebeneffekt. Straftaten werden nicht mehr angezeigt, wenn die Anzeige nicht gerade zu Versicherungszwecken gebraucht wird. Ich habe mit zwei Textil-Einzelhändlern und zwei Strandkorbvermietern gesprochen. Alle haben es längst aufgegeben, Strafanzeigen zu stellen, da Ladendiebstahl und Sachbeschädigung ohnehin nicht versicherbar ist, bzw. nur zu ruinösen Prämien. Der Tenor:

„Du musst ewig auf die Polizei warten und es bringt sowieso nichts, die machen nicht mal Spurensicherung. Irgendwann kommt ein Brief vom Staatsanwalt, eingestellt wegen Geringfügigkeit oder Täter nicht ermittelbar.“

Dazu aus der PKS des Landes:

„Eine Besonderheit der PKS ist die Hellfeld-Dunkelfeld-Problematik. So spiegelt die PKS nur den Teil der Kriminalität wider, welcher der Polizei bekannt geworden ist, das sogenannte Hellfeld. Dagegen können zum Umfang des sogenannten Dunkelfeldes und seine Entwicklung mangels empirischer Forschungen in Deutschland derzeit kaum Aussagen gemacht werden. Bekannte Faktoren, die auf das Dunkelfeld wirken, sind z.B. die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung und die Intensität der Verbrechenskontrolle.“

Ähnlich in der PKS des Bundes:

„Aufgrund fehlender statistischer Daten kann das sogenannte Dunkelfeld – die der Polizei nicht bekannt gewordene Kriminalität – in der PKS nicht abgebildet werden.“

Dreimal darf der geneigte Leser raten, warum in Deutschland jeder Mist statistisch erfasst wird, aber die Politik kein Interesse daran hat, das Thema Dunkelfeld untersuchen zu lassen. Man könnte dann nämlich im Verbund mit der Presse nicht mehr alljährlich bei der Vorstellung der PKS das Märchen verbreiten, die Kriminalität ginge zurück.

Loren Caffier, Innenminister M-V am 22.03.2011 bei der Vorstellung der PKS:

„Ich freue mich, auch dieses Jahr eine positive Bilanz der Kriminalitätsentwicklung in unserem Bundesland ziehen zu können. Damit hat sich die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, aber auch die der zahlreichen Touristen in Mecklenburg-Vorpommern, weiter erhöht.“

Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesinnenminister am 20.05.2011 bei der Vorstellung der PKS:

„Die niedrigste Zahl an Straftaten bei gleichzeitig höchster Aufklärungsquote seit der Wiedervereinigung – diese beiden Erfolgszahlen verdanken wir wesentlich der guten und engagierten Arbeit unserer Polizei.“

Auf den kleinen entscheidenden Unterschied, dass nämlich nur die Zahl der bekannt gewordenen Straftaten zurückgegangen ist, kommt es ja nicht an.

Dazu habe ich hier auf dem Blog schon am 9. Oktober 2008 festgestellt:

„Wenigstens verstehe ich jetzt die Logik hinter dem jahrelangen Stellenabbau bei Landes- und Bundespolizei. Je weniger Polizisten draußen rumlaufen, desto weniger Straftaten kennt man, desto niedriger ist die Kriminalitätsrate. Das eröffnet ganz neue Wege in der Kriminalitätsbekämpfung.“

Wenn also wie vorgesehen, in Mecklenburg-Vorpommern weitere 200 Stellen bei der Landespolizei abgebaut werden, dient das nur der Sicherheit der Bürger. Denn die Kriminalität sinkt dann automatisch mit. Sozusagen das umgekehrte Lüchow-Dannenberg-Syndrom. Perverse Logik. Und auch der nächste Innenminister wird weiter das Märchen von sinkender Kriminalität erzählen.

Passend dazu auch die Pressemeldungen dieser Woche, nach denen bei der Bundespolizei wegen der gestiegenen Benzinpreise die Streifenfahrten reduziert werden müssen. Man stellt nicht etwa mehr Mittel zur Verfügung, um das geplante Streifenniveau aufrecht zu erhalten, nein man fährt einfach weniger Streife. Auch das ein kreativer Beitrag zur Senkung der Kriminalität.

Nichtdeutsche Täterschaft

Die ermittelten Tatverdächtigen in Ostvorpommern lagen im letzten Jahr bei 10,2 % der Gesamtzahl. Tatsächlich sehen Polizisten und auch leitende Polizeibeamte die Lage viel drastischer als öffentlich eingestanden wird. Nach deren Einschätzung sind auf Usedom etwa 70 % der Täter Polen und 30 % Deutsche. Das spricht natürlich niemand offen aus, wäre ja politisch nicht korrekt. Natürlich ist die Grenznähe ein Problem. Natürlich gibt es in Polen nicht mehr Kriminelle als in Deutschland. Leider konzentrieren die sich im grenznahen Bereich, eine unkontrollierte Grenze ermöglicht eben einen kurzen und effektiven Fluchtweg.

Da helfen dann auch Sprüche wie die unseres MdB Matthias Lietz nicht:

„Es ist wichtig, dass die Menschen vor Ort keine Vorbehalte entwickeln, sondern stattdessen bewusst versuchen, möglichen kriminellen Handlungen bereits im Vorfeld zu begegnen.“

Hier entwickelt niemand Vorbehalte gegen Polen. Hier gibt es Vorbehalte gegen Kriminelle, egal ob die aus Deutschland, Polen oder Timbuktu kommen (Ich befürchte, Timbuktu in diesem Zusammenhang zu nennen ist politisch auch nicht korrekt). Und die Erwartung, dass uns der Staat mit unseren Steuergeldern wirksam vor Kriminellen schützt. Und das geht nicht, in dem er immer weniger Polizisten beschäftigt und die Ergebnisse mit statistischen Fingerübungen aufhübscht.

Last but not Least

Laut Knut Abramowski sollen im Mai auf Usedom nur noch vier Wohnungseinbrüche angezeigt worden sein. Es fällt mir schwer das zu glauben, weil mir alleine 2 Fälle bekannt sind. Am 3. Mai wurde bei einer Arbeitskollegin meiner Frau in Zinnowitz eingebrochen und am 4. Mai bei uns. Nur 2 weitere Fälle? Falls einer der Leser Hinweise auf andere Wohnungseinbrüche hat, bitte in die Kommentare oder per Mail.

Die PKS des Landes Mecklenburg-Vorpommern kann man hier am Ende der Seite herunterladen, die des Bundes hier. Die Sichtweise des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Landesverband Mecklenburg-Vorpommern zum Thema Sicherheit auf Usedom gibt es hier.

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