Von Bohrinseln, Surrealismus, Rentnern und anderen Ergüssen

EM 2012

Nach dem Start der Übertragungen vom Heringsdorfer Fussballstrand müssen das ZDF, seine Moderatoren und die Insel Usedom so einiges wegstecken an Kritik. Obwohl Kritik in den wenigsten Fällen die richtige Beschreibung für die Ergüsse ist. Häme wäre wohl eher angebracht.

Das Jackett des Anstosses – Foto Andreas Dumke

Beispiele gefällig? Kein Problem, gibt es reichlich. Fangen wir mit dem Stern an. Unter der Überschrift „Morgens Fußpflege, abends Fußball“ heisst es unter anderem:

Die Fußball-EM im ZDF erinnert in diesem Jahr an einen öden Mallorca-Urlaub in der Nebensaison: Nur eine überschaubare Anzahl von Rentnern verläuft sich in das Open-Air-Studio am Ostseestrand.

Raik Hannemann titelt für Die Welt: „Über Gebühr – ZDF klotzt auf leerer Insel Usedom“ und schreibt:

Da lässt beispielsweise das ZDF auf der stimmungsarmen, weil in der ferienfreien Zeit eher urlauberarmen Insel Usedom ziemlich sinnfrei einen Hubschrauber über Katrin Müller-Hohenstein kreisen.

In der TAZ schreibt die Kolumnistin Svenja Bednarczyk:

Eines der Highlights an der Ostsee: wenn die Kamera das jubelnde Publikum zeigt – also fünf frierenden Senioren mit Fähnchen auf dem Liegestuhl.

Das leere Strandstudio mit miesem Deutschlandwetter – eine Zumutung, nicht nur für die Moderatorin.

So sehen Usedomer Rentner aus – Foto Andreas Dumke

Der Münchner Merkur, die Hamburger Morgenpost und der Kölner Express bedienen sich bei Jörg Heinrich, der Express mit der Schlagzeile „Der Insel-Irrsinn der Mainzelmännchen„:

Ein müdes Klatschpublikum döst in Liegestühlen vor sich hin: Wie der Fernsehgarten, nur mit Fußball – bei der EM-Berichterstattung des ZDF passt bisher so gut wie nichts. … Wer Usedomina Katrin Müller-Hohenstein und Grillwurst-Olli Kahn am ZDF-Fußballstrand erlebt, der fragt sich: Wo ist der Anstieg des Meeresspiegels, wenn man ihn braucht? Einmal Flut, und alles wäre gut!

Wenig charmant geben sich auch die Stuttgarter Nachrichten:

Der geplagte Fußballmann wähnte sich lieber mit der ZDF-Nixe Katrin Müller-­Hohenstein am Strand von Usedom, bei der neuen Unterwasser-Variante des „ZDF-Fernsehgartens“. … Frau Müller­-Hohenstein stand im unsäg­lichen EM-­Magazin des ZDF so windgebeutelt herum, als müsste sie in weißen Jeans und pinkfarbenem ­Jackett den lebenden Leuchtturm einer Salzwasser-Soap für Hinterwäldler geben.

Am Jackett von Katrin Müller­-Hohenstein beisst sich auch der Münchner Abendzeitung fest:

Dafür Oliver Kahn und die zartrosa gekleidete Zugehfrau Katrin Müller-Hohenstein am Strand von Usedom. Ins Meer wurde eine surreale Bühne gezimmert, dahinter eine LED-Wand, die berühmte Seebrücke von der Sonne umstrahlt und einmal ist sogar eines dieser riesigen Kreuzfahrtschiffe zu sehen. Mutmaßlich die MS Kahn.

Bei der Frankfurter Rundschau haut man auch derb drauf:

Wie wär’s mit Usedom? Usedom ist super, Wasser, Sand, Strandkörbe, deutsches Essen. Und auch nicht sooo weit weg. Polen und die Ukraine liegen im Osten, und Usedom? An der Ostsee, nur einen Katzensprung von Polen entfernt. Also bitte. …
Da stehen nun Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn auf einer Plattform im Wasser, im pinkfarbenen Blazer sie, im blauen Pulli er. Es sieht aus, als würde eine Touri-Suse von Sonnenschein-TV den Strandkorbverleiher von Boltenhagen interviewen.

Den wenig rühmlichen Abschluss bildet die Süddeutsche:

Usedom ist so eine schöne Insel, und alle, die einmal da waren, kommen sicher gerne wieder – meistens sind das aber offenbar Männer und Frauen, die sich ihre Renten schwer verdient haben, wenn man es jetzt richtig deutet. …
In den bisher oft nur zur Hälfte eingenommenen Liegestühlen ruht und freut sich eine Art AOK-Kongress. Die Stimmung ist herbstlich, ist eher Ende statt Anfang der Saison. Das ganze Ensemble, in dem Müller-Hohenstein und Kahn sich aufhalten, wirkt wie angespültes Strandgut – oder wie der Nachbau einer Bohrinsel.

Eines haben die „Kritiken“ gemeinsam: Keiner der Schreiber war vor Ort. Man hat ein paar Bilder im Fernseher gesehen und zieht seine voreiligen Schlüsse.

Zugegeben, ich fand Klopp und Urs Meier mit Kerner in Bregenz auch eloquenter, aber die Häme die da über Katrin Müller­-Hohenstein und teilweise über Oliver Kahn ausgeschüttet wird, ist einfach nur billig. Sie hat tatsächlich Mario Klose gesagt? Die Reaktion darauf erinnert etwas an eine Szene aus dem Monty Python-Klassiker „Das Leben des Brian“: Er hat Jehova gesagt! – Steinigt ihn, steinigt ihn. Die beiden standen dort am Sonntag von 15.45 Uhr bis 23.15 Uhr, die Spiele zusammen in einem Raum mit ein paar Fussballexperten angesehen, um das dann gleich zu kommentieren. Ich habe das vorher nie so gesehen, aber das ist tatsächlich ein Knochenjob.

Und dann regen sich Leute, die Fremdwörter einsetzen, deren Bedeutung sie nicht einmal kennen (surreale Bühne), die Dinge hineininterpretieren, die nicht da sind (Kreuzfahrtschiffe), die scheinbar im Leben noch keine Bohrinsel gesehen haben, nicht mitbekommen, dass die eingespielten Luftbilder Aufzeichnungen sind, sich keine Statistik über die Besucherzahlen für den Juni auf Usedom angesehen haben, auf und stempeln wegen ein paar Fernsehbildern Usedom zu einer Rentnerinsel ab? Ach ja, dass ein Teil von Usedom zu Polen gehört und auf dem polnischen Teil mehr Menschen leben als auf dem deutschen, hat sich bis in die Redaktionen auch nicht herumgesprochen.

Müdes Klatschpublikum auf dem Liegestuhl – Foto: Mandy Knuth

Natürlich ist manches am Sonntag nicht gut gelaufen. Zwei Stunden lang einen Ton zu liefern, der nicht synchron ist, geht gar nicht. Und so einen Tweet dazu abzusetzen, macht es auch nicht besser:

In Usedom hätte er sich ohnehin vergeblich zu melden versucht, da ist niemand vom ZDF, und der Fehler lag ohnehin in Mainz, wie sich dann später herausgestellt hat.

Und es war auch nicht schön, dass es am Sonntag eine Menge leere Plätze gab. Das liegt aber nicht daran, dass Usedom außerhalb der Ferienzeit angeblich keine Gäste hat (128.445 Ankünfte und 644.612 Übernachtungen im Juni 2011), wie mancher Journalist ungetrübt von Sachkenntnis fabuliert, sondern an der absolut mangelhaften Organisation des Ticketverkaufes und dem Marketing dafür durch die Gemeinde Heringsdorf.

Damit sind wir auch am einzig gerechtfertigten Punkt der Kritik, es kann nicht sein, dass wir das ZDF so hängen lassen und dort immer wieder Bilder von freien Plätzen über den Äther gehen. Nicht gut für das ZDF und überhaupt nicht gut für Usedom. Die ZDF-Übertragungen sind live ein tolles Erlebnis und 10 Euro ist weniger als eine Karte fürs Kino kostet. Also hingehen und mitmachen!

Update 14.50 Uhr: Jörg Heinrich, der Verfasser des übelsten Textes, ist laut Angabe seines Verlages für die Redaktion von „Pelzig hält sich“ tätig. Das strahlt doch auch das ZDF aus, oder?

Update 16.12 Uhr: Der Berliner Kurier hat die Kritik Beschimpfung von Herrn Heinrich auch im Angebot.

Zum gleichen Thema auch Doc Scheider drüben im coffeepotdiary: Berliner Kurier zum ZDF in Heringsdorf. Noch so ein Usedomer Rentner.

Update 14.06.: Welt online legt heute noch einmal nach mit Berichterstattung Bashing: Kahn und „KMH“ – das ZDF-Debakel auf Usedom.

Die Klinik sieht aus wie ein Ufo. Es ist eine Arena mit tausend Plätzen, schwimmende Pontons als Bühne … Hier fröstelten die Zuschauer in ihren Goretex-Jacken. Doch lag es nur am Wetter, dass der Funke der Euphorie über das 2:1 nicht übersprang?

Jetzt also auch noch ein Ufo, das ist immerhin noch halbwegs originell, aber immer noch doof. Warum fällt eigentlich keinem dieser Schreiberlinge auf, dass die Bühne in der Form schlicht und ergreifend dem Logo der EM nachempfunden ist? Müsste man sich ja mal mit der Sache auseinandersetzen. Und zu behaupten, gestern sei in der Arena keine Stimmung gewesen und die Leute hätten da alle in Goretex-Jacken rumgesessen ist einfach nur bösartig. Vor Ort kann Frau Hildebrandt diesen Eindruck jedenfalls nicht gewonnen haben.